Was ist eigentlich am nachhaltigsten?
Fleisch, fleischlos, regionale Erzeugung oder Bio – was ist eigentlich wirklich am nachhaltigsten? Wir lassen uns von drei Fachleuten durch den Dschungel aktueller Begriffe lotsen. Gemeinschaftsverpflegung sollte nicht nur schmackhaft, gesund und abwechslungsreich, sondern außerdem auch nachhaltig sein. Dabei beschränkt sich Nachhaltigkeit nicht nur auf das Klima und Kohlendioxidemissionen. Es geht auch um biologische Vielfalt, den Verbrauch von Wasser, und den Einsatz von Chemikalien und Antibiotika.
Unten können Sie lesen, was die Forschung zu drei kontroversen Nachhaltigkeitsfragen sagt.
Welches Fleisch ist aus Nachhaltigkeitsperspektive am besten?
Rindfleisch galt lange Zeit als Klimaschädling, Hühnerfleisch dagegen als nachhaltigere Alternative. Bis schwedisches Hühnerfleisch in der neuesten Ausgabe des WWF-Fleischratgebers auf die rote Liste gesetzt und eine neue Studie in Nature Food präsentiert wurde, die zeigt, dass Rind- und Schweinefleisch nachhaltiger sind als Hühnerfleisch.
Was stimmt denn nun also?
„Bisher hatten wir eine ziemlich eindimensionale Sichtweise: Es wurde einfach nur die Klimabelastung berücksichtigt. Aus dieser Perspektive ist Hühnerfleisch eine bessere Alternative als Rind- und Schweinefleisch. Werden jedoch weitere Nachhaltigkeitsaspekte wie Biodiversität, der Einsatz von Pestiziden und der Bodenbedarf berücksichtigt, ist Hühnerfleisch nicht mehr die beste Option“, erklärt Line Gordon, Direktorin des Stockholm Resilience Center.
Rinder wurden ihrer Meinung nach ein wenig zu Unrecht gescholten, denn sie können auf Flächen weiden, die sich nicht für den Anbau eignen. Außerdem liefern sie Gülle, die der Biodiversität zugutekommt.
Schweine kommen wiederum mit minderwertigem Futter aus, das nicht gespritzt werden muss. Sie können sogar von Resten leben, die ansonsten entsorgt würden.
Hühner benötigen dagegen hochwertiges Futter: Weizen, Mais und Sojamehl, die wertvolles Ackerland erfordern.
Line Gordon erklärt, dass zirkuläre Lebensmittelsysteme auf eine optimale Ressourcennutzung abzielen. Fruchtbares Land wird dabei bevorzugt für die Produktion von Nahrungsmitteln für Menschen verwendet. Derzeit werden rund 40 % der weltweiten Anbauflächen genutzt, um hochwertiges Futter für Tiere zu produzieren.
Gleichzeitig betont sie, dass das große Problem nicht darin besteht, welche Fleischsorten wir essen, sondern welche Mengen wir konsumieren.
„Um Fleisch nachhaltig zu produzieren, müssen wir die Mengen reduzieren und stattdessen verstärkt auf pflanzliche Erzeugnisse zurückgreifen“, so Line Gordon.
Sind vegetarische Alternativen grundsätzlich die nachhaltigste Proteinquelle?
Vegetarische Ernährung ist ein wachsender Trend: Immer mehr Menschen ersetzen Fleisch und andere tierische Erzeugnisse durch pflanzliche Alternativen.
Deswegen hat der WWF einen Ratgeber für Früchte und Gemüse entwickelt. Der Guide bewertet verschiedene Arten von pflanzlichen Eiweißen anhand verschiedener Nachhaltigkeitsaspekte.
„Wir sind gerade mitten in der Umstellung auf pflanzliche Proteine. Deswegen wollen wir den Menschen helfen, anhand einer Gesamtbewertung die nachhaltigsten Entscheidungen zu treffen, erklärt Anna Richert, Senior Food Expert beim WWF.
Denn nicht alles, was vegetarisch ist, ist per se auch nachhaltig. Bei der Klimabelastung sind pflanzliche Erzeugnisse tierischen immer überlegen. Weniger einfach ist es, wenn man andere Nachhaltigkeitsaspekte wie Wasserverbrauch, Chemikalieneinsatz und Biodiversität einbezieht.
Nüsse, Mandeln, Reis, Kokosnüsse und Avocados sind beispielsweise pflanzliche Erzeugnisse, deren Nachhaltigkeitsbilanz schlechter ausfällt.
Sojabohnen und Fleischersatz aus Soja erhalten grünes Licht, obwohl Soja aufgrund der Vernichtung der Regenwälder als Rohstoff ziemlich umstritten ist.
„Die Sojaproduktion ist nicht unproblematisch. Wie bei allen Hülsenfrüchten ist der Anbau jedoch effizient und liefert einen großen Ertrag pro Hektar. Die Entwaldung – beispielsweise im Amazonasgebiet – geht auf das Konto der Tierproduktion. Das Soja, das in der Lebensmittelindustrie verarbeitet wird, stammt häufig aus Europa, Kanada und China.“
In letzter Zeit ist eine heftige Debatte um sogenannte ultra-verarbeitete Lebensmittel entbrannt. Hierzu gehören Produkte wie Sojanuggets und vegetarische Würstchen.
„Unser Standpunkt ist, dass Hülsenfrüchte in wenig verarbeiteter Form günstiger für das Klima sind: Am besten ist, wenn aus Bohnen und Linsen beispielsweise Eintöpfe oder Suppen zubereitet werden. Allerdings sollte man auch realistisch sein. Die Umstellung auf pflanzliche Proteinalternativen und eine abwechslungsreiche Ernährung ist einfacher, wenn mitunter auf schnell zubereitete Übergangsprodukte zurückgegriffen werden kann“, erklärt Anna Richert und fügt hinzu:
„Außerdem gilt, dass in einem nachhaltigen Ernährungssystem durchaus Raum für einen gewissen Anteil an tierischen Produkten ist. Unser Ziel ist nicht, dass sich alle vegan ernähren, wir wollen nur, dass Menschen mehr und bessere vegetarische Alternativen wählen.“
Bio-Anbau oder regional produziert – welcher Aspekt ist wichtiger?
Zunächst ist es wichtig festzuhalten, dass sich Bio- und regionale Erzeugnisse nicht grundsätzlich widersprechen – sie sind allerdings auch nicht deckungsgleich.
„Bei Bio geht es darum, wie ein Produkt hergestellt wird, während es bei regionalen Erzeugnissen darum geht, wo es produziert wird. Für manche Leute ist alles, was hier in Schweden produziert wird, regional. Andere verstehen darunter dagegen Produkte von kleinen Erzeugern, die sie auf dem Wochenmarkt kaufen oder als Gemüsekiste abonnieren, sodass sie vielleicht sogar eine persönliche Beziehung zu ihnen haben, erklärt Rebeca Milestad, Forscherin und Nachhaltigkeitsexpertin an der schwedischen Hochschule KTH.
Die Schwierigkeit besteht darin, dass es für „regional“ oder „aus lokaler Produktion“ nicht wirklich eine Definition gibt. Im allgemeinen Sprachgebrauch werden Entfernungen außerdem häufig mit Produktionsformen in kleinem oder großem Maßstab verwechselt. Es gibt auch keine Barcodes oder andere Hilfsmittel, um solche Produkte technisch zu kennzeichnen.
„Bio“ oder „Ökologisch“ hat hingegen eine klare Definition. Es gibt verlässliche Zertifizierungen in Form der Bio-Kennzeichnung der EU. Das Kontrollsystem ist transparent und gibt genau an, welche Anforderungen erfüllt sein müssen und wie die ökologische Produktion stattfindet.
Die Vorteile für die Umwelt liegen ebenfalls auf der Hand. In der Bio-Produktion werden weniger Kunstdünger und chemische Pestizide eingesetzt, was wiederum die Überdüngung verringert und die biologische Vielfalt fördert. Darüber hinaus werden höhere Anforderungen an Ethik und gute Tierhaltung gestellt.
Dagegen lässt sich pauschal nicht sagen, dass ein Lebensmittel aus schwedischer oder regionaler Produktion besser für das Klima oder für die Umwelt ist.
„Viele Menschen glauben, dass Transporte besonders umweltschädlich sind. 50–80 % der gesamten Umweltbelastung eines Lebensmittels entstehen jedoch beim Erzeuger. Deswegen ist immer das Produktionssystem selbst ausschlaggebend“, erklärt Rebeca Milestad.
Wenn man dagegen aus anderen Gründen regionale Erzeugnisse kaufen möchte – etwa um schwedische Erzeuger zu unterstützen oder um die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln zu fördern – ist das natürlich ein entscheidender Aspekt.
„Dabei sollte man sich nur bewusst sein, dass es nicht um die Umwelt, sondern um einen anderen Aspekt geht.“
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